Alles ist Eins

Neulich kam ich an einer Mauer vorbei und dachte: wenn alles Eins ist, dann gibt es die gar nicht!
Ich blieb stehen und spielte schon mit dem Gedanken, der Sache mittels eines Selbstversuches auf den Grund zu gehen, indem ich aus vollem Lauf gegen das vermutlich inexistente Mauerwerk anrennen würde, gab mir aber zum Glück noch etwas Bedenkzeit.
Ich ging das Ganze logisch an: Wenn man voraussetzte, dass es eine absolute Wahrheit gab, dann konnte es keine Grenzen und damit auch keine Mauer geben. Absolut ist absolut! Dass ich mit diesem schwierigen Problem so schnell zu einer logisch eindeutig richtigen Lösung gekommen war, hatte zwar einerseits etwas Befriedigendes, gab mir aber leider auch den Schwung für eine weitere Frage, die ich mir besser nicht gestellt hätte: Was ist dann aber positiv dort, wo die Mauer nicht ist? Da ging mir doch die Luft aus, als ich merkte, dass die Logik in dieser Frage nur negativ sein kann: immerzu führt sie das Denken zu dem Beweis, dass nichts da sein kann, wo es absolut wahr sein will.

O.k., dann ist da Gott!, dachte ich und ging damit aufs  Ganze; denn wenn das nicht griff, das war mir klar, wäre ich mit meinem Latein am Ende.
Die Logik aber schüttelte nur müde den Kopf und wies abwinkend darauf hin, dass wir jetzt aber doch sauber zu Ende denken wollten und da müsse man bei allem Respekt doch darauf bestehen, dass der Begriff ‚Gott‘ in einer absoluten Wahrheit genausowenig existieren könne wie die Mauer da vor mir.  Himmel!!

Glücklicherweise erinnerte ich mich in diesem Augenblick an einen Ratschlag, den ich in einem Buch gelesen hatte: man solle alle Fragen die Wahrheit betreffend nicht im Alleingang versuchen zu beantworten, sondern die Wahrheit selbst antworten lassen. Ein etwas rätselhafter Rat zwar, aber dennoch irgendwie einleuchtend.
Er half auch hier, denn jetzt konnte ich die Mauer wieder ansehen als das, was sie für mich eben war: eine Mauer! Jetzt fand ich sogar, sie sei eine besonders schöne Mauer. Und … ja: irgendwie leichter schien sie mir geworden, was ganz bestimmt nicht daran lag, dass sie an Substanz verloren hätte in den letzten fünf Minuten, sondern daran, dass sie von meinen schweren Fragen entlastet war.
Und auch der von mir seit Kindheitstagen liebgewonnene und mit so vielen Assoziationen umgebene Begriff ‚Gott‘ hatte seine Freundlichkeit zurückgewonnen und war wieder das Fenster geworden, durch das ich zuversichtlich Antwort erwartend hinausschauen konnte.
Im Gehen tippte ich die Mauer dann doch mal kurz an. Nur zur Sicherheit.

 ( 27.10.2013 )

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