Schwanensee

‚Ich war schließlich zuerst da!‘
Mein Ego ließ sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen, ein wenig zu meckern über die Zumutung, der es sich ausgesetzt sah. Ich hatte mich gerade auf eine der Bänke an der Alster gesetzt, um in aller Ruhe eines dieser überaus wichtigen Telefonate zu führen, derentwegen man sich gelegentlich fragt, ob es ein Leben vor dem Mobiltelefon überhaupt gegeben habe und falls ja, ob es dann allen Ernstes als lebenswert einzustufen sei. Es ging also um Dinge wie die genaue Standortangabe, die voraussichtliche  Ankunftszeit am vereinbarten Treffpunkt und dergleichen mehr.
Während ich diese komplexen Themen mit meinem akustischen Gegenüber austauschte, hatten sich eine junge Mutter und ihre vielleicht fünfjährige Tochter neben mich gesetzt und irgendetwas tuschelnd miteinander besprochen. Schließlich blickte mich die Mutter, die direkt neben mir saß, während die Kleine sich hinter ihr versteckte, mit einem Ausdruck, der irgendwo zwischen Vergnügtheit und Bitte um Nachsicht lag, an und sagte:

„Meine Tochter hat mich gebeten, Sie zu fragen, ob es Ihnen möglich sei, später zu telefonieren, sie würde sich gerne die Schwäne anschauen.“
Wie gesagt, ich meckerte ein wenig in mich hinein, ‚Wieso kann sie wohl ihre Schwäne nicht beobachten, während ich telefoniere?‘, derweil ich meinen Gesprächspartner auf später vertröstete und der Mutter verständnisinnig mit „Ja, klar doch!“, „Das kann warten.“ und „Gar kein Problem!“ antwortete.

Ganz wohl fühlte ich mich nicht in meiner Haut, zumal das Mädchen, von dem ich bisher eigentlich nur das Näschen gesehen hatte, jetzt aufstand, ein paar Schritte in Richtung der Schwäne ging, um sein angekündigtes Interesse auch zu beweisen, gleichzeitig aber immer wieder zu mir herüberschaute und mich schließlich, auf dem Rückweg zur Bank, von oben bis unten musterte. Nichts blieb da unbegutachtet, fast hätte ich meine Sitzposition korrigiert, um einen besseren Eindruck zu machen! Es kam mir allerdings auch in den Sinn, dass das Mädchen irgendeine Sorge habe, etwas schien es zu  beschäftigten, mit dem es noch nicht zu Rande gekommen war. Schnell lief es die letzten Meter zur Bank zurück und versteckte sich wieder gründlich hinter seiner Mutter. Ich entschloss mich, aufzubrechen; vielleicht verunmöglichte ja schon meine bloße Anwesenheit das entspannte Beobachten von Schwänen! Mein meckerndes Ego lag zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits komplett entwaffnet am Boden und erwartete sein baldiges Ende.
Ich zog meinen kleinen, schon etwas abgetragenen Stadtrucksack über und wandte mich Mutter und Tochter zu, um mich wenigstens freundlich zu verabschieden. Wieder hatten die beiden etwas zu tuscheln und als mich die Mutter jetzt anschaute, war aus ihrer Vergnügtheit helle Freude geworden:

„Meine Tochter hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass der Rucksack, den sie da aufhaben, der schönste sei, den sie in ihrem ganzen Leben gesehen habe“.

Da war ich mir nicht mehr wirklich sicher, ob es eine gute Idee  gewesen war, jetzt zu gehen, denn womöglich handelte es sich um jenen Moment, von dem Goethe  nur träumen konnte, als er Faust ausrufen ließ: ‚O Augenblick, verweile doch, du bist so schön!“

Aber natürlich ging ich trotzdem, nach einem kleinen Zwinkern nach jenseits der Mutter hin.

( 23.11.2012 )

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