Pipa

Gestern hatte ich das besondere Vergnügen und die einmalige Gelegenheit, von einer höchst attraktiven Dame einen Spiegel vorgehalten zu bekommen, in dem ich feststellen durfte, dass ich – „und das als Mann“ – offensichtlich über ein „zauberhaftes Lächeln“ verfüge, was mich nicht nur erstaunte und sehr glücklich machte, sondern darüber hinaus am heimischen Wandspiegel für mich absolut nicht mehr nachvollziehbar war und dadurch die geheimnisvolle Konnotation des Einmaligen bekam.

Aber der Reihe nach:

Ich konnte mal wieder auf einem kleinen, eigentlich ziellosen Rundgang „durchs Dorf“ der Versuchung nicht widerstehen, in den meiner Wohnung nahegelegenen Edeka-Markt einzutauchen, um dort einen dieser fast schon unheimlich schmackhaften Tintenfischsesamsalate käuflich zu erwerben, dreifünfundneunzig, man gönnt sich ja sonst nichts. Das kann ich im Blindflug, wie man der bisherigen Schilderung vielleicht auch schon entnehmen kann.

Ich stehe also nahezu unmittelbar nach dem Einzug in den Supermarkt an einer der Kassen, meine kleine Trophäe des Lustprinzips in der Hand, bereit zu bezahlen.
Eigentlich sind gerade noch drei Kassen offen gewesen, aber just in dem Moment, als ich erscheine, fängt eine der Kassiererinnen mit einer Art Inventur an, die damit beginnt, ein Schild mit der Aufschrift „Kasse geschlossen“ aufzustellen und die zweite verlässt gleich ganz ihren Arbeitsplatz.
Aber macht ja nichts. Stellen wir uns eben hier an. Es geht auch zügig weiter, prima. Jetzt fängt die Dame direkt vor mir an,  ihren – das muss ich allerdings sagen – üppig befüllten Einkaufswagen auszuräumen, vorsichtig so von oben runter, in der ersten Phase muss sie sorgsam darauf achten, dass die ausgeklügelte Architektur des Gebäudes nicht zusammenbricht und dessen Einzelteile außenbords gehen. Also sie hat schon zu tun damit. Die Jüngste ist sie auch nicht mehr, und darüber entsteht dann zunächst ein kleines, intimes Gespräch mit der Kassiererin, die ich als ohnehin sehr leutselig kenne und die ganz offensichtlich mit der betreffenden Dame schon lange vertraut ist, sie nennt sie schon mal „meine Süße“ oder „meine Kleine“ oder „Schnucki“. Ja, also die Luft, das wird auch nicht besser im Alter, sagt Schnucki zum Beispiel und dass sie ja immerhin auch schon achtzig sei. Das Ganze aber mit einer wunderbaren Heiterkeit, während sie in aller Seelenruhe ihre Sachen auf das Kassenband schaufelt.
Jetzt legt sie eine dieser Rabattkarten auf das Bezahlfeld, wenn es denn eine solche ist, so genau erschließt sich mir das nicht. In jedem Fall ist sie sehr bunt und ich lese einen wundervollen Namen darauf, der ja doch wahrscheinlich ihrer ist, obgleich ich das zu diesem Zeitpunkt auch nicht sicher wissen kann.

Inzwischen bin ich ja bereits aus dieser Geschichte längst wieder raus, bin auch im heimischen Spiegeltest bereits durchgefallen und habe mir erlaubt, den Namen zu gurgeln, wie man heute sagt, und ich habe feststellen dürfen, dass es sich tatsächlich um den Namen der besagten Dame handelt – eine Hamburger Malerin und Bildhauerin, hat mir das allwissende Netz zugeflüstert – die da in meiner kleinen Geschichte gerade vor mir steht und mit dem Ausräumen ihres Monatseinkaufs zu Ende gekommen ist.

„Marion Pipa von Froreich“ lese ich auf der „Rabattkarte“ und höre, wie diese unsere Kassiererin – welche ihr in aller Ruhe geholfen hat, den Bezahlvorgang erfolgreich über die Bühne zu bringen – „Mickymaus“ nennt und ein höchst ausführliches, geradezu zärtlich zu nennendes Verabschiedungsritual einleitet, an dessen Ende eine tiefe Verbeugung und ein „Ich wünsch‘ dir einen wunderschönen Tag“ seitens Pipa steht. Jetzt aber – von wegen „Ende“ – wendet sie sich mir zu, der ich in der fälschlichen Annahme, von ihr gar nicht bemerkt zu werden, dieser entzückenden Begegnung lediglich als stiller Beobachter beigewohnt habe.
„Und Ihnen auch“ sagt sie mir freundlich ins Gesicht und dann kommt er, dieser Satz, der mir seitdem sehr zu denken gibt so in die Richtung, was es denn eigentlich sei, das uns den Spiegel vorhält, auf dass wir uns erkennen:
„Ein so bezauberndes Lächeln“, sagt sie, „und das von einem Mann!“, wobei sie drei Finger zusammen nimmt und mit spitzen Lippen deren Kuppen küsst, woraufhin die Hand sich öffnet in einer Geste, die sagen will: „Ganz köstlich!“

Da bin ich natürlich von den Socken, breite in aller Wehrlosigkeit die Arme aus und verkünde wahrheitsgemäß: „Mein Tag ist gerettet!“ Dann geh‘ ich auf sie zu und streich‘ ihr mal eben meinen herzlich empfundenen Dank über den Arm. Dabei bemerkt sie, dass ich lediglich mit einem kleinen Tintenfischsesamsalat ausgerüstet auf die Chance warte, bezahlen zu dürfen und entschuldigt sich in gespieltem Entsetzen:
„Also wenn ich gewusst hätte, dass sie nur das eine Teil da haben, dann hätte ich Sie ja …“
„Aber nein, dann hätte ich Sie ja nicht erleben dürfen!“ antworte ich aufrichtig und sie ist ganz baff von der Einfachheit dieser Logik. „Stimmt“, sagt sie nur, nun ihrerseits entwaffnet und wehrlos in der Dankbarkeit des Augenblicks. Und es trennen sich lachend und froh Dreie, denen der Alltag eine solch wundervolle Gelegenheit eingeräumt hat.

Echt, Leute, das musste ich einfach erzählen. Pipa, ich liebe dich!

 

*

16 Gedanken zu “Pipa

    1. Du wirst es nicht glauben: gerade eben war ich auf der Seite unserer lieben Marion, las deinen Kommentar und fand ihn wunderbar. Ich wollte antworten, dachte aber, ach nee, ich hab‘ so viel in den letzten Tagen hier kommentiert, halt‘ dich mal ein bisschen zurück!
      Da macht es pling und du kommentierst erstmals bei mir, und zwar, und das schlägt doch dem Fass die Krone ins Gesicht: auch bei dem Kommentar bei Marion geht es um eine Begegnung am Supermarktkassenband!

      Ist das nicht herrlich! Also ich werde die Antwort jetzt gleich dann natürlich doch noch schreiben.
      Erst mal ganz herzlichen Dank für deine lieben Worte, da bist du hier richtig: ich mag sie nämlcih auch, diese kleinen, feinen Alltagsbegegnungen!
      Willkommen „on air“ und bis gleich bei Marion

      Michael

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