Schon von weitem höre ich die Geräusche knackender Zweige, die von einem derben Stück Holz verursacht werden, das immer wieder von unten in die Krone der alten Kastanie geworfen wird. Als ich näher komme, sind die beiden schon etwas älteren Wurfakrobaten – wohl ein Ehepaar – dabei, mit einem Strahlen der Vorfreude in den Gesichtern die Kastanien aufzusammeln, die sie so „geerntet“ haben, wahrscheinlich für ihre Enkelkinder, kann man annehmen. Ich gehe auf die beiden zu und bitte sie, damit aufzuhören, den Baum derart zu verletzen. Man muss mit wenigen Wörtern auskommen, Sprachbarriere. Sie sind ein wenig eingeschnappt und gehen dann mit ihrem schon gut gefüllten Beutel Kastanien davon.
Eine etwas traurige Szene, in der sich verschiedene Interessen kreuzen, die nicht vereinbar zu sein scheinen. Die Freude der Großeltern hatte die Schmerzen eines Baumes übersehen. Ein wirklich versöhnliches Gespräch kommt nicht zustande. Jeder geht seines Weges. Der Baum, der kaum etwas anderes gelernt hat zu wollen als zum Licht zu streben und der seine Gelassenheit darin schon über Jahrhunderte eingeübt hat, bleibt leicht blutend zurück.
Die Kastanie steht vor dem Eingang des Universitätskrankenhauses. Und sie steht da wie ein Symbol. Hier ist die Gesundheitsindustrie zu Hause, und sie hat ihre Interessen in Stein gehauen, in die Gebäudearchitektur gegossen, in das Verhalten des Personals eingebrannt und den Abläufen diktiert, die ein Streben nach dem Licht nicht vorsehen, das für alle gleichermaßen Nahrung und Lebensquelle ist. Hier ist der Geist nach wenigen Schritten ermüdet, er fühlt den Druck, sich den Notwendigkeiten zu beugen, sich zu den vorgegebenen Schienen zu reduzieren, auf denen sich die Züge hier nach Fahrplan bewegen. Er stört als das, was er IST: in allem und jedem frei atmend, auch hier, wo krank und gesund so klare Fronten zu bilden scheinen. Er akzeptiert keine Front, er denkt gleichzeitig an Kastanien und an Enkelkinder.
Dafür ist hier kein Raum.
Alles ist eine Spur zu eng, die Ausschilderung in dem labyrinthären Komplex ist so, dass sie immer ein wenig zu kurz greift, nie informiert sie vollständig, die Stationen und Patientenzimmer sind derart auf Funktionalität getrimmt, dass einem der Atem wegbleibt, die Pflegekräfte sind allenfalls höflich, aber immer schon weg, bevor man Luft für das geholt hat, was man sagen will, ihre Bewegungen gestresst, gehetzt, keine Zeit, keine Zeit, das ist hier der Takt.
Ich habe es anders erlebt in den letzten Wochen. Es gibt ganz andere Krankenhäuser. Das letzte, ein Krankenhaus der Diakonie, hat auf den Stationen eine Schrift aushängen über die Philosophie des Hauses und darin kommen „Gott“ und „Nächstenliebe“ vor. Man hat das sehr stark gemerkt, als Patient und als Besucher ist man immer auf Augenhöhe mit denen gewesen, die hier arbeiten, ist ganz selbstverständlich als Mensch angesprochen worden, bevor die Scheidung in gesund und krank relevant geworden ist.
Unfassbar der Kontrast zu dem Unikrankenhaus. Kein Raum. Keine Luft. Geistlos.
Davon werden wir krank, nicht wahr? Und das müssen wir heilen! Den Wahn, es gehe uns besser, wenn wir den EINENDEN GEIST, wenn wir GOTT vor die Tür schicken, den Irrtum, damit Klarheit über unser Ziel erreichen zu können.
„Die Angst erscheint in vielen verschiedenen Formen“, z.B. als Gesundheitswahn in einem wahnsinnig gewordenen Krankenhaus, das in allen seinen Elementen vermittelt, dass der Geist des Patienten, der nichts anderes wollen kann, als zum LICHT zu streben, wo sein HEIM und sein HEIL wohnt, bedeutungslos ist.
„Doch die LIEBE ist eins“ und sie bleibt eins, wie sehr ich mich auch einfangen lasse von diesem Höllenort. Ich besuche mal wieder meinen Freund, und als ich das Patientenzimmer betrete, ist es, als sitze das Kastanienbaum-Paar einträchtig nebeneinander auf dem Nachbarbett und schaut Fernsehen. Sie diesmal ganz in Schwarz gehüllt und beide diesmal ohne die geringsten Deutschkenntnisse. Aber dann das:
Mein Freund äußert, dass er Hunger habe und irgendwie muss die Frau in Schwarz das mitbekommen haben. Mit einem strahlenden Lächeln reicht sie ihm eine Banane herüber, die mein Freund dankbar annimmt.
Der Heilige Geist schaut heute durch wen auch immer, und wenn nicht durch mich, der ich vielleicht gerade ein wenig schwächele, dann durch dich, und wenn er sich in dem Weg einer Banane von A nach B demonstriert, dann ist das heute der Weg. Wir müssen nur fest bleiben lernen: der GEIST lässt sich nicht aus der Tür schicken. Auch hier nicht.
(Zitate aus dem spirituellen Lehrwerk „Ein Kurs in Wundern“, Greuthof-Verlag)
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