Nicht ärgern, nur wundern!

Ich sitze hier in der Besucherecke auf dem Gang einer Krankenhausstation, als drei Dinge gleichzeitig passieren:

Die Türen beider meinem Beobachtersessel direkt gegenüberliegenden Patientenzimmer öffnen sich und vom Stationszimmer her nähert sich der junge Arzt in Ausbildung, der gestern beim Versuch, eine invasive und sehr unangenehme Untersuchung bei meiner Freundin durchzuführen, gescheitert war und die Sache an die Stationsärztin hatte übergeben müssen. Ein vollkommen normaler Fehlversuch eines Übenden, der ihm von niemandem, auch nicht von meiner Freundin oder von mir, übelgenommen worden war, aber dennoch war er danach sehr traurig über die Station geschlichen.

Auch jetzt will er schnell an mir vorbeihuschen, aber ich halte ihn auf.

Währenddessen wird der Patient, der aus dem rechten Zimmer auf den Gang herausgekommen und hier auf den netten Iraner gestoßen ist, der auf dieser Station den Kaffee und das Essen zu den Patienten bringt, zunehmend zornig. Er kann sich nach seinem Schlaganfall schlecht verständlich machen und versucht mit großer Entschiedenheit, das dem gleichmütig freundlich bleibenden Mann anzulasten, der ihm Fragen zu seinen Essenswünschen stellt. Er wirft ihm vor, nicht gut genug Deutsch zu sprechen, um mit ihm kommunizieren und ihn verstehen zu können und ihn darüberhinaus mehrfach mit derselben Frage belästigt zu haben. Was definitiv eine falsche Sicht der Dinge ist: die Fragen sind klar und deutlich zu verstehen und die Wiederholungen sind nötig, weil die Antworten nicht verständlich sind. Und überhaupt müsse man eigentlich längst wissen, was er mag und was nicht, meint dann noch der Zürnende, der vermutlich genau das vor seiner Erkrankung so gewohnt war.

Aus dem linken Zimmer kommt indessen mit ungeheurem Elan die Reinigungs-Dame der Station im wahrsten Sinne des Wortes herausgefegt und wechselt dabei noch mit lauter, fröhlicher Stimme ein paar Worte mit einer der Patientinnen im Zimmer, die – nach dem Tonfall zu schließen – offensichtlich fest entschlossen ist, durch chronisches Nörgeln bei der Erlösung der Welt zu helfen.

Den jungen Arzt also kann ich mitten in dem jetzt entstandenen Tohuwabohu kurz stoppen, um ihm zu sagen, dass ich bewundert habe, wie besonnen, ruhig und professionell er mit der Situation gestern umgegangen sei. Ich bedanke mich bei ihm für alles, was er für meine Freundin getan hat und wir verabschieden uns voneinander.

Er geht davon und murmelt etwas, das ich nicht verstehe, weil mich jetzt der Kaffee-Mann von gegenüber laut anspricht, ob ich einen wolle, einen Kaffee nämlich. Das wiederum nimmt der zürnende Mensch, von seiner Essensbestellung aufblickend, persönlich und schreit – jetzt offen erbost über die Frechheit, das ein zweites Mal gefragt zu werden – dem freundlichen Mann ein donnerndes und wohlartikuliertes NEIN!!!! Ins Gesicht.

„Das galt mir!“ versuche ich zu erklären, natürlich ohne Erfolg, denn das leibhaftige Opfer dieser Welt denkt nicht daran, sich korrigieren zu lassen in seiner Einschätzung der Lage und kehrt kopfschüttelnd in sein Zimmer zurück.

Ich bekomme von dem erstaunlich gelassen gebliebenen Angeklagten zwinkernden Auges meinen Kaffee herübergereicht und höre entzückt, wie die Reinemachefrau der nörgelnden Patientin im anderen Zimmer das Lied der Vergebung singt: sie solle den Tag nicht mit Ärger beginnen, rät sie ihr heiter, und lieber ein paar gute Gedanken haben.

„Nicht ärgern, nur wundern“, ruft ihr die Patientin in allerdings zynischen Tonfall hinterher, während die gute Fee behutsam, aber entschieden die Tür hinter sich schließt und aufatmend „genau!“ sagt.

Unsere Gesichter versenken sich regelrecht ineinander. Der Kaffeemann verschwindet mit seinem Wagen gerade um die Ecke und da ist ein Moment absolute Ruhe.

„Wissen Sie was?“ es kommt einfach so aus mir raus: „Sie sind hier der beste Arzt!“
Sie versteht es genau, lacht hell auf, wirft den Kopf in den Nacken und macht dann mit ihrer linken Hand eine Geste in eine imaginäre Runde, die sehr sprechend und wahrhaftig auf mich wirkt und alle, alle, alle meinen will, obgleich ich für einen Augenblick doch das Gefühl habe, dass sie ein wenig mehr hinter dem Kaffeemann herzeigt als in Richtung der um den Oberarzt Versammelten auf der anderen Seite des Ganges.

„Wir alle hier“, sagt sie und noch mal: „Wir alle hier!“

 

*

4 Gedanken zu “Nicht ärgern, nur wundern!

  1. Hi Mein Freund,
    Schön das du dich wieder meldest.
    Schön beobachtet,schön geschrieben,keine Frage.
    Ich hab,aber bemerkt das die Geschichte ,schon wieder aus der Krankenhaus stammt.
    Die nächste Geschichte,wünsche ich mir,kommt von Reeperbahn , irgendeine wilde Loveparade , von mir aus Kölner Karneval,oder sonnigen Urlaub die du mit deine Liebe verbringst .
    Gute Gesundheit für euch beiden süßen -hat mich gefreut
    L.G.
    Mirso

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