Liebe und Angst

Ich hab mich schon immer gefragt, wie es beispielsweise sein kann, dass mir – jetzt schon seit Monaten – unmittelbar vor den „heute“-Nachrichten die unersprießliche Botschaft überbracht wird, meine mir suggerierte und wahrscheinlich schon unaufhaltsam fortschreitende Zahnfleischentzündung sei durch eine spezielle Zahnpasta doch noch zu stoppen. Wieso schreit die Nation nicht auf bei solchen geistigen Untaten, die uns, noch vor den „realen“ Schreckensbildern des Tages, mit solchen Bildern das Wasserzeichen der Angst auf die Leinwand unserer Wahrnehmung stempeln? Kann man doch mal fragen. Wieso machen wir sowas und wieso machen wir das mit?

Offensichtlich wird doch darauf gesetzt, dass wir in einem empfundenen Mangelzustand – Hunger, Schmerzen, Krankheit, Verlust etc. – nur ein einziges Reaktionsmuster zur Verfügung haben: Wir halten Ausschau nach dem, was die Lücke füllen, das Loch stopfen oder den Riss kitten kann. Und sind dann eben auch dankbar, wenn einer mit einer Zahnpasta kommt, die alles kann außer Kaffee kochen. Auch wenn wir gar keine Probleme mit den Zähnen und ihrer Umgebung haben – die könnten ja schließlich noch kommen. Karl Valentin wusste es besser: „Ich hatte tausend Probleme und keines davon ist eingetroffen“.

Da sind wir offensichtlich zu „kriegen“. Bei der Angst. Das wissen alle Mächtigen und alle, die was verkaufen wollen. Sex sells, Angst auch.

„Liebe“ – wenn man das jetzt mal so sagen will, als Versuch, da irgendwas zu verstehen – also Liebe könnte man ja begreifen – wenn man sie wiederum ganz weit fasst, also gaaanz weit – als sozusagen den Stoff, der mein Leben zu einem „heilen Leben“ macht. Und Angst ist dann das Gefühl, dass mir gerade zu viel von diesem Stoff verloren geht und ich aufpassen muss, dass ich da nicht total auslaufe, also quasi liebeleer, vom „Leben“ abgeschnitten werde. Wenn mir beispielsweise jemand auflauert, nicht etwa, um meinen Vorrat an Liebesstoff zu erhöhen, sondern um mir eins über die Rübe zu geben. Oder wenn ich verlassen werde von jemandem, den bzw. die ich gerade noch „meine Liebste“ genannt habe. Dann hab ich doch auch das Gefühl, dass sie den Liebesstoff im Übermaß mitnimmt und nichts mehr für mich übrig lässt. Und wenn eine Krankheit mich anfällt, ruf ich ja auch nach Hilfe, okay, ich ruf nicht so direkt nach „Liebe“, sondern eher nach dem Arzt, aber letzlich ….

Da kann man die Zahnpasta einreihen, oder? Liebe kommt da mit Pfefferminzgeschmack, da gibt es ja alle Richtungen!

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Ist natürlich alles nur ein Gedankenspiel rund um das Axiom, dass man sowas wie „Liebe“ als „Heilstoff an sich“ ansehen kann. Als etwas, das alles zusammenhält. Und dass eben Angst grundsätzlich das Gefühl ist, ein Mangel an diesem Stoff drohe wesentlich zu werden.

Also den Mangel ausgleichen mit einem Mehr an dem, was fehlt – das hat Logik!

Nur, wenn man jetzt noch eine weitere Vorraussetzung macht, dass nämlich „Liebe“ an sich ein Stoff ist, der von seinem Wesen her eines ganz bestimmt nicht kann und will: sich begrenzen lassen, dann hat man ein Problem.

Dann ist man in der prekären Situation, etwas in seinen als mangelhaft empfundenen „Ich“-Raum hineinziehen zu wollen, was „Räume“ überhaupt nicht kennt, eben weil es keine Grenzen kennt.

Und jetzt stell ich einfach mal die Frage, damit die Sache wenigstens logisch rund wird: Könnte es sein, dass dieses permanente Ziehen und Zerren an dem, was uns vollständig machen soll, genau das ist, was unser Mangelgefühl auslöst? Und dass ein herzliches Lachen über den Versuch, uns Angst als Bedingung für den Erhalt des Heilmittels, welches dieselbe Angst wieder beheben soll, verkaufen zu wollen, … also jedenfalls vor Zahnfleischentzündung wesentlich besser schützt als die Zahnpasta von Dr.X?

Wie wärs mit einer einfachen Einladung an unser Universalheilmittel, in unsere „Mangelräume“ einzutreten? Nicht, um sie mit einer Spachtelmasse zu reparieren, sondern um uns zu helfen, die Grenzen, die wir permanent zwischen uns und den Dingen, aber vor allem ja untereinander ziehen, behutsam aufzuheben? Also quasi das Grenzenlose ins Begrenzte einzuladen, um uns zu lehren, was von beidem denn jetzt wahr ist.

Also nur mal so, als Idee.

 

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3 Gedanken zu “Liebe und Angst

  1. Eine liebsam schön Idee, 🐠 geliebter Michael, man könnte sogar die Liebe einladen, gemeinsam auf all diese seltsamen Angebote zu blicken und zu schauen, wie sich das anfühlt. Das ist tatsächlich eine tolle Anregung, die ich gern in den Tag mit hineinnehme. Sei bedankt und gesegnet. 🌻
    Verbindliche Grüße 💫
    Luxus

    1. Solcherart verbunden kann ja auch nichts schiefgehen, liebe Luxus, da kriegen auch die lieblosesten Gedanken gleich wieder eine gute Richtung und fangen an, sich wieder aus ihrer eigentlichen Quelle zu nähren. In diesem Sinne wünsch ich dir einen vitaminreichen Tag in Verbundenheit, Michael ✌️🤓🌷

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