Blindenhilfe

„Nö, wieso?“
Sie schüttelt erstaunt den Kopf auf meine Frage, ob ich ihr helfen könne.
„Ach deshalb!“, sagt sie und zeigt auf das Sehbehindertenzeichen an ihrer Jacke, „das geht schon, alles klar!“
Dass sie schon neunzig sei, erzählt sie dann und die Lebensfreude dennoch eher zunehme, „man muss sich für das Leben interessieren“, gibt sie ihr Geheimnis preis, und dann wirft sie die Arme in die Luft und krönt das Ganze mit der Schlussfolgerung ihres bis hierhin ja schon langen Lebensweges, die so manches ausgeklügelte Philosophiegebäude  mit einem Lächeln milden Bedauerns zum Einsturz bringen und seine Trümmer der Sonne ihrer wunderbaren Heiterkeit aussetzen würde:
„Und der Geist, mein Herr, ich sage Ihnen, der ist nicht das Gehirn, der ist doch da und dort!“
Und dabei wirft sie ihre Arme den Bäumen entgegen, in die Wolken schleudert sie ihre ganze Lebensweisheit und über sie hinaus.
Zu guter Letzt gibt sie mir auch noch einen Buchtipp, „Junger Mann, das müssen Sie lesen!“: ‚Blick in die Ewigkeit‘, und ihr „Blindenzeichen“ scheint mich dabei geradezu anzugrinsen.
Ich wollte ja nur helfen ….

*

5 Gedanken zu “Blindenhilfe

  1. Heute war ich auf der Beerdigung meiner Schwiegermutter, auch sie war ein lebensbejahender Mensch. Deshalb passt deine wie immer berührend erzählte Geschichte zu diesem Tag. Sie ist ein wunderbarer Abschluss, danke. 🙂

  2. Sie sind sehr schön, diese Geschichten, die du aus dem Leben greifst. Vielleicht begegnen sie dir, da du dich für das Leben interessierst und genau das machst, was ihr Geheimnis ist.
    Mir ist, als sehe ich sie dort Arme in die Luft werfend stehen und das ist ein gutes Bild.

    An dieser Stelle ein kleiner Hinweis, da ich aufgelöst habe, wer welchen Satz schenkte, du weißt schon…
    https://mbeyersreuber.wordpress.com/2015/12/02/findesatz-kommentare-dezember-2014/

      1. Danke fürs Lob und fürs Silben schenken!

        Ich glaube, zu diesen Begegnungen gehört auch das auf den anderen einzulassen, die eigene innere Zone verlassen, sich zu öffnen, gedanklich und innerlich. Du zeigst mit deiner feinen Geschichte, dass es auch in diesen kurzen Begegnungen möglich ist, die dann etwas schenken und nachwirken…

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